Transzendenz der Melancholie

Tauchen ist ein Sport in Schwerelosigkeit. Aber Abtauchen in ungeahnte Tiefen, in empfindliche Dunkelheit, in eine Welt der dreifachen Schwerkraft, ist etwas ganz anderes.

In dieser Tiefe stellen sich neue Fragen: Wie habe ich das bisher nur alles ausgehalten, das schreiende Licht, die zügellosen, grellen Geräusche, die Schnelllebigkeit, die flachen Witze, der öde Smalltalk, all das Makeup und falsche Lachen? Sicher diese Aufzählung gelingt auch beim Schnorcheln an der Oberfläche. Aber die absurde Störung der eignen Existenz durch den Normalbetrieb der Welt wird einem erst dann bewusst, wenn einem dieser Betrieb nicht mehr erreicht.

Man ahnt zwar, am tristen Meeresgrund kann man mangels Sauerstoff nicht zu lange bleiben. Doch die Vorstellung, einfach wieder aufzutauchen, wider diese unerbittliche Schwerkraft, diese Vorstellung lähmt.

Ein wenig Abtauchen – wieder auftauchen.

Ein normaler Rhythmus, der unterbrochen wird. Durch ein radikales, viel tieferes Niedersinken. Sich fallen zu lassen, die Kontrolle zu verlieren… Ist das nicht ambivalent? Wünscht man sich insgeheim nicht solche radikalen Pausen im Wahnsinn des täglichen Schwungs? Und fürchtet sie zugleich?

Melancholia I

Am Boden angelangt, wie bewerte ich diesen ungeplanten Tauchgang? Das Gerede von jede Krise sei auch eine Chance, trifft es nicht ganz. Diese Chance meint eher eine Rückkehr an die alten Ufer, um dort neue Pfähle in den gleichen Sumpf zu schlagen.

Wie sieht der Andere aus vor diesem dunklen HIntergrund? Ist er bei sich selbst oder nur eine Marionette? Warum sehe ich seine Fäden im Dunklen besser? Wer zieht daran? Jeder selbst. Jeder ist sein eigner Puppenspieler. Nur die Drehbücher sind fremd. Verrückt.

Aber warum habe ich auf einmal so viele Fragen…?

Soll ich etwas bekämpfen, was einen Platz in mir verlangt? Die Schwerkraft zu akzeptieren bereitet Mühe, vor allem wenn sie sich wie im vorliegenden Fall im Nu verdreifacht. Wie kompensiert man diese Last? Immerhin die Regeln einer hypomanischen Gesellschaft fallen ab.

Ein fulminanter Neustart? Mit schreienden Neonfarben? Wozu? Schwarz hat seine eigne Dynamik, woraus Schritt für Schritt ein Weg freigetreten wird. Meine Reiseziele definiere ich lieber nach meinen eignen zwiespältigen Bedürfnissen.

Melancholia II

Meine alten Ziele waren die falschen. Nicht meine eignen; waren nicht an meine Existenz adaptiert. Das Verfehlen von irrigen Zielen, ist das nicht ein Segen? Könnte sich manchmal so erweisen, immerhin. Das wäre tröstlich.

Wozu dann noch Schwarzmalen? Weil Schwarz mein Kompass im Leben ist; ein Warnschatten.

Schwarz ist ein inverser Leuchtturm in hellster Nacht.

Ein radikal paradoxes Bild. Doch in den eignen Abgründen kann man seinen bescheidenen Weg weniger verlieren. Paint it black.

Melancholia III

Ein wenig hinter die Dinge zu kommen, zu verstehen und zu fühlen, gelingt womöglich just mit solch flaumigen Tauchgängen. Ohne Gewähr. Aber ohne diese Erfahrungen wäre meine Welt fraglos flach, trocken, hart, dumm, im besten Fall rational geblieben.