Der Skeptiker am Strand von Camogli

Er stand allein im groben Kies von Camogli. In einer Nacht im Februar, in horizontloser Dunkelheit. Natürlich war es kühl und doch war da eine Illusion von salztrunkener Wärme. So blieb er eine Weile stehen, fragte sich wie so oft, ob er das Richtige tat. Sehen konnte man beinahe nichts. Doch er hörte das Meer unablässig gegen das Ufer arbeiten. Helles Rauschen und dumpfes Steine Rollen wechselten sich immer wieder ab. Derweil fühlte er sich ein wenig schutzlos und doch auf eine seltsame Art geborgen; das kam ihm absurd vor. Er fühlte sich selbst als absurdes Wesen. Ihm war es, als sei er in den dunklen Magen eines gigantischen Tiers hinabgestiegen, vor sich nur noch tosende Verdauungssäfte.

Night – light – waves 1
Night – light – waves 2
Night – light – waves 3

Aber die Augen gewöhnten sich an die Nacht. Keine Sterne, kein Mond, keine Positionslichter von Fischerbooten. Nein, es war das Leben der Stadt, das gerade noch die brechenden Wellen erleuchtete. Dort, an der Uferlinie, hätte er ausharren wollen bis in den Morgengrauen. Bis er die Basilica Di Santa Maria Assunta wieder zu sehen bekäme. Doch seine Müdigkeit zwang ihn, die spontane Idee zu verwerfen.

So sah er die Kirche schon bald im Traum, wie sie heftig umspült wurde von dunklen, turmhohen Wellen, als wollte das Tier sie ohne zu zögern verspeisen. Nach bangen Momenten tauchte ein barmherziger Wal am Strand auf, spuckte einen sonderbaren Heiligen aus, der sich betend niederkniete und alsbald verstummten die Winde und das Meer zog sich zurück.

Camogli 9

Beim späten Frühstück sah er durchs Panoramafenster des Hotels, dass die Basilica den Traum unbeschadet überstanden hatte. Möwen umkreisten sie, als könnten sie das kostbare Bauwerk mit ihren Engelsflügeln beschützen.

Die Kirche, benannt nach dem Glauben an die leibliche Aufnahme Marias in den Himmel, ist einer jener Orte, an denen die Mutter Gottes, die Ersterlöste, der erste unsterbliche Mensch in der Chronik des christlichen Glaubens, verehrt wird.

Vor dem Verzehr der verbotenen Frucht, also im Urstand, wäre Unsterblichkeit noch selbstverständlich gewesen. Tempi passati. Ewiges Leben bleibt folglich der grösste Wunsch vieler Sterblicher. Der Skeptiker fragte sich, wie er sich denn diesen süssen Wunsch verwirklichen könnte; bemerkte aber sogleich, wie töricht sein Gedanke doch war.

Stelser Zeitreise

Als ich endlich das grosse Scheunentor hinter mir schloss, es war schon später Nachmittag, da empfing mich eine unglaublich frische, ja kalte Bergluft. Ich blinzelte ins Licht und hörte nichts als sanften Wind. Ich liess mich von meinen Schritten leiten. Ein Ziel hatte ich nicht. Noch nicht.

Fog and snow in May, Stels 1
Fog and snow in May, Stels 2
Fog and snow in May, Stels 3
Fog and snow in May, Stels 4

Inzwischen, längst hier unten wieder gestrandet, im erbarmungslosen, brüllenden Flachland, erstaunt mich doch die grosse Distanz, welche die kurze Zeit zwischen Mai und Juni auf die Ereignisse zu legen vermag. Das Erinnern wird durch tausend Banalitäten zugedeckt. Man sagt auch, die Erinnerung verblasse. Doch ist es nicht viel mehr ein Zuschütten? Täglich fallen neue Schichten wie Schnee auf die alten Tage, die sich unter dem Gewicht der Gegenwart immer weniger bemerkbar machen.

Der Mai in Stels hingegen begann mit viel Schnee. Im Laufe der Tage trug die Sonne geduldig Schicht um Schicht ab. Bis nur noch kurzes Gras blieb. Millionen Krokusse blühten am Tag darauf. Noch einen Tag später kam ein Mensch auf einer fahrenden Mistschleuder vorbei und änderte alles von Neuem. So erinnert sich Berglandschaft an den Frühling. Hier sind die Spuren der Jahreszeiten noch direkt erlebbar.

Ein Hase sprang talwärts, ein Falke suchte in der Luft stehend nach Mäusen. Und ein paar Rehe scheuchte ich ungewollt aus dem Unterholz. Junge Birken tanzten in den Mai. Über allem hingen schwere Wolken, die mich einhüllten und wieder losliessen. Auch der Schnee war schwer. Mein Weg oft kaum zu sehen. Ich sank ein bis über die Knie. Manchmal durchquerte ich steile Bachtobel, die voller Geröll, Totholz und Geschiebe waren. Erinnerung an einen harten Winter. Kiesgeschiebe verwandelte sich in dickflüssigen Teig. Die Schritte darin wurden zur Lotterie.

Müde zurück, das riesige Scheunentor aufschiebend, freute ich mich einfach darauf, einiges an Holz im Ofen zu verbrennen. Die Berge versanken im Vergessen der Nacht.

Der Vorhang ist gefallen

Ich bin selber überrascht, wo überall hin so eine kleine Textreise führen kann. Aber mit Abschluss der zweiten Staffel ist mein Abenteuer in Hulls Labor vorbei. Oder zumindest für eine Weile auf Eis gelegt. Würde man das Ergebnis oder den Zwischenstand in jenem Labor mit einem klassischen Drama vergleichen, was zwar gar keinen Sinn macht, so wären noch drei weitere Staffeln angeraten… Aber da die Handlung zweifellos ihren Höhepunkt bereits erreicht hat, wären’s dann nur noch zwei. Und da eine Retardation nun so gar nicht mein Ding ist (zum Glück), wäre nur noch der finale Akt zu bewältigen, also die Katastrophe oder doch die Katharsis…? Hui, wenn man das wüsste!

(Diese beiden Bilder können in Originalgrösse betrachtet werden)

Jetzt mal etwas ganz anderes

Vielleicht kennen Sie/kennst du das auch? Diesen Drang etwas zu schreiben. Eine Twitterzeile, Tagebuch, Liebesbrief, einen Fortsetzungsroman oder sonst etwas. Wahrscheinlich schon. Vielleicht ist dieser Drang bei manchen so gross, wie ein Bild, nein, viele Bilder, zu machen und dann diese mit anderen zu teilen.

Also mir geht das jedenfalls so und ich habe im Laufe meines Lebens schon einige Anläufe genommen, etwas zu schreiben, um es dann auch jemandem zu zeigen, obwohl es keine persönliche Botschaft war. Was das jeweils wirklich gewesen ist, weiss ich aber selbst nicht, wahrscheinlich nur nette Versuche, etwas neu zu formulieren, was andere schon längst getan haben.

Nun, in diesen Virus- und Lockdownzeiten, mitten im Winter mit überwiegend brutalem Wetter, da lockt die Tastatur noch um einiges mehr als sonst schon. Tagelang hat man nichts Gescheiteres zu tun, als irgendwelche Geschichten zu erfinden. Bevor ich nun anfange um den Brei herumzulaufen: Ich habe also Anfang Januar mit einem neuen Blog begonnen, ohne Bilder, nur mit Texten. Eben aus diesem Drang heraus, den ich selbst nicht ganz verstehe.

Die Frage, worum es denn geht in diesen Texten, muss ich wohl mit einer Enttäuschung beantworten. Der Inhalt ist leider schon recht eigenartig. Das fällt sogar mir selbst auf. Ein paar müssige Überlegungen eines früheren Psychologen, die mir manchmal noch durch den Kopf trollen. Und um diesem Treiben im Hinterstübchen ein Ende zu bereiten, habe ich vermutlich diese Texte geschrieben. So genau weiss ich das selber nicht. Vielleicht ist es auch nur die etwas längere Version von dem hier. Ob es weiter gehen wird mit diesen Texten, keine Ahnung. Das Ganze mache ich, wie immer, wenn ich etwas tue, ohne Plan und Absicht. So kommen dort sicher merkwürdige Begriffe vor, inhaltlich mag das schwer verständlich sein und manche Bezüge zu irgend etwas da draussen bleiben womöglich für immer im Dunkeln. Aber wenigstens der Form nach ist die Geschichte sehr einfach. Meist sind es kurze Dialoge, wie sie auch im Alltag irgendwo erscheinen könnten.

Blogformate sind eigentlich ein Graus für Fortsetzungsgeschichten, weil das Neueste immer zuoberst steht. Darum habe ich sogar einen Link geschaffen, um die Geschichte chronologisch lesen zu können. Falls man sich das also antun möchte, so gibt es immerhin die schöne Gelegenheit, mittendrin richtig gute Musik anzuhören:

Hulls Labor