Titus Maximus

Julian träumte schon lange davon, sich einen Hund anzuschaffen, damit seine einsamen und sinnlosen Spaziergänge durch die Hügellandschaft des schönen Thurgaus ein Ende oder vielmehr eine Verwandlung erfahren könnten. Nun war der Tag tatsächlich gekommen, an dem aus einer Spinnerei plötzlich ein Fakt werden würde. Und so ging er froh gelaunt in den Supermarkt, einfach nur um Hundefutter zu kaufen. 

Julian hatte bereits vor einer Woche den Rüden beim Züchter ausgewählt und einen Namen für das wertvolle Tier bestimmt. Er würde, was heisst denn, er würde, er wird! nein, er heisst! ab heute heisst er Titus Maximus. Ja. Bescheidenheit war Julians Ding nicht. Nein, aber die Zeit mit Titus Maximus wird grossartig werden. Julian lächelte zufrieden. Titus Maximus war ein Windhund, ein Greyhound um genau zu sein.

Zwei Tage später rief er Tom an und sagte, dass er ein Problem habe. Ob er ihm nicht behilflich sein könne. 

„Ein Foto von einem Hund? Ob ich das machen kann? Julian, haha, was denkst du denn. Ich bin Fotograf. Ich kann dir auch ein Eichhörnchen beim Sprung von einem Baum zum andern…, oder einen Eisvogel beim Fischen knipsen. Das wär doch…“

„Tom. Titus Maximus ist nicht irgend ein Hund. Wie ich schon sagte. Er ist schnell. Wenn ich ihn von der Leine lasse, sehe ich ihn nicht mehr. So schnell pfeilt er weg, dass er wirklich unsichtbar wird.“

„Haha, Julian, lass gut sein. Unsichtbar… Aber ich mach dir gern ein paar Bilder von dem Kerlchen. Knackscharf, da kannst du dich drauf…“

„Wir werden ja sehen.“

Alsbald war es soweit. Julian, Tom und Titus Maximus standen auf der Wiese. Tom zückte seine Profikamera und stapfte ein paar Meter weg, um den perfekten Ausschnitt für die Aufnahme zu wählen.

„Okay, jetzt lass deinen Sprinter Maximus laufen.“

Julian zog die Stirn in Falten, liess seinen Hund mit einem Säufzer von der Leine und rief dann doch entschlossen: „Lauf, Titus Maximus!“

Ein Zischgeräusch durchfuhr die Wiese und das Tier war nicht mehr zu sehen. Tatsächlich, ja, man konnte Titus Maximus mit den Augen nicht folgen, so schnell war er. Tom versuchte dennoch so etwas wie einen Mitzieher auszuführen, drückte ab und die Serienbildfunktion bescherte ihm hundertundzwei Bilder pro Sekunde. Ja doch, das geht. Und später suchte er – zunehmend besorgt – jedes dieser Bilder auf dem Computerbildschirm daraufhin ab, ob er irgendwo so etwas wie Titus Maximus abgebildet fände. 

Hm, ja, doch, da war so was, wie ein rennender Hund, oder etwa nicht?

Was denn? Ach so. Ob Titus Maximus je wieder aufgetaucht ist…?

Konkret abstrakt

(Zum Vergrössern, Bilder einfach anklicken)

Es gibt Tage, da bin ich es leid, Konkretes abzulichten und dann möchte ich gerne abstrakte Bilder kreieren. Doch mit dem Fotoapparat als Werkzeug bin ich als Ausgangsmaterial immer auf konkrete Gegenstände, Landschaften, Models angewiesen. Um dieses Bedürfnis nach Abstraktion umzusetzen, gibt es bekanntlich viele Tricks und Hilfsmittel, wie z.B. unscharf fokussieren oder ICM-Fotografie. Heute zeige ich einen anderen Zugang: die Wahl eines Bildausschnitts, der das Konkrete hinter sich lässt. Alles was man hier noch erkennen kann ist Rost – und ein Schneckenhäuschen. Letzteres gibt hier eine Idee davon, wie gross etwa die Ausgangsobjekte sein müssen.

Doch bleibt man beim Betrachten dieser Bilder bei der Erklärung Rost hängen? Ich glaube nicht. Unser Gehirn sucht ständig nach Bedeutung in der Umwelt, um ja nichts zu verpassen. Ein abstraktes Bild frustriert nun zuerst einmal dieses Bestreben. Da ist auf einmal etwas, das keinen Sinn ergibt. Dabei kann man es bewenden lassen und weiter gehen.

Oder man lässt sich auf dieses Sinnlose ein. Dann passiert zunächst etwas mit der Wahrnehmung. Unser Gehirn, so wir es nötigen, sich weiterhin mit diesem nutzlosen Objekt auseinanderzusetzen, setzt seine Arbeit fort und sucht immer noch nach Mustern, nach Bekanntem und Vertrautem, nach Positivem und Negativem, nach Ressourcen und Gefahren, auch dort wo gar nichts solches ist. Es kann nicht anders, es muss unsere Umwelt zwanghaft interpretieren.

Und so entdecken wir in völlig abstrakten, durch Zufall geformten Strukturen manchmal doch noch irgendein Muster, manchmal ein Tier, ein Gewölk, ein Virus, eine Szene oder eine ganze Landschaft. Und das alles geschieht sehr schnell. Bevor wir noch darüber nachdenken können, was uns jetzt dieses Bild sagen will, sehen wir dort – eventuell – schon solche vertraute Muster.

Dann erst beginnt die Auseinandersetzung mit einem abstrakten Bild. Ich kann mich fragen, was hat der Schöpfer dieses Bilds aussagen wollen? Hat er diese oder jene „Figur“ absichtlich gesetzt oder sehe nur ich sie als solche? Die Interpretation bleibt meist recht spekulativ oder zumindest subjektiv. Im Allgemeinen kann man versuchen, die Wirkung von Farben, Räumen, Art der Strukturen zu deuten. Es gibt ganz ordentliche Bilder und mehr chaotische Abstrakte, insofern werden auch verschiedene abstrakte Stile unterschieden.

Die Betrachtung abstrakter – scheinbar sinnloser – Bilder kann also recht kurzweilig sein. Bei den dokumentarisch Konkreten ist die Interpretation auf der Ebene des Mustererkennens nämlich sofort beendet bzw. eine Mustersuche muss meistens gar nicht stattfinden. In Bezug auf eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Inhalt der Bilder haben aber die Konkreten oft wieder die Nase vorne.

Ein konkretes Bild vermag Themen und Zusammenhänge darstellen, ein Abstraktes bleibt eher – manchmal wohltuende – Spielerei, die die Fantasie anregt.

Dieser Moment