Zwei Türen

Ich weiss nicht genau warum, aber die ganz grossen, fiesen Rätsel haben mich immer am meisten fasziniert. Also Dinge, die andere, weitaus vernünftigere Leute ziemlich kalt lassen. Zum Beispiel jenes Ding mit den zwei Türen. Aber der Reihe nach:

Das Universum ist der verrückteste und seltsamste Ort auf der Welt, den man sich überhaupt vorstellen kann. Im Grunde ist es absolut lebensfeindlich. Überall dominieren extreme Kälte oder aber noch extremere Hitze. Tödliche kosmische Strahlung rast von einem Ende zum anderen. Und dennoch gibt es in dieser universellen Wüste seltsame, winzigste Oasen, in denen Leben möglich ist. 

Das ist völlig absurd. Wozu sollte so etwas auch gut sein?

Man weiss nicht einmal, wie gross es ist. Vielleicht sei es unendlich! Vielleicht handelt es es sich gar um ein Multiversum, worin ich millionenfach existiere! 

Wie lange wird es noch bei uns bleiben? 

Implodiert es bereits in vier Stunden? 

Leben wir etwa alle in einem riesigen schwarzen Loch? 

Gibt es extraterrestrisches Leben? Intelligentes? Bis heute gibt es nur die Gebete der Astrophysiker, dass dies immerhin gut möglich sei. Möglicherweise gibt es aber gar nichts Vergleichbares zur Erde in der ganzen X-Milliarden Lichtjahre riesigen Einöde. 

Vielleicht ist das auch besser so. Also ohne diese gefrässigen Aliens. 

Die Mehrzahl der Astrophysiker erzählt uns immer noch übereinstimmend die schöne Geschichte vom Urknall, der vor ziemlich genau 13,8 Milliarden Jahren stattgefunden haben soll. Aus einer Singularität, also aus einem Punkt, beziehungsweise aus dem unendlich Kleinen, also buchstäblich aus dem Nichts, sei alles entstanden. 

Ihre mathematischen Formeln verstehe ich leider nicht. Aber sobald diese Forscher ihre Erkenntnisse über das Universum in normale Sprache übersetzen, dann klingen die Theorien oft wie Science Fiction. Oder sie sagen sogar Dinge wie: Eigentlich weiss ich es überhaupt nicht, aber es könnte schon so oder so, oder aber auch ganz anders gewesen sein. 

Heute soll dieses Universum ziemlich gross, vielleicht sogar grenzenlos sein. Also sei aus dem Nichts unvorstellbar viel Materie und Energie, nebenbei auch noch solche Kleinigkeiten wie Zeit und Raum entstanden. Und folglich sei die Frage, was denn vor dem Urknall gewesen sei, ziemlich blöd, oder sagen wir einfach falsch. 

Normalerweise würden wir doch behaupten, solche Theorien seien völliger Quatsch. Aber da es sich in diesem Fall immerhin um seriöse Wissenschaft handelt, sagt man lieber: Jaaa, das übersteigt jetzt leider meine Vorstellungskraft… Wenn diese Wissenschaft dann noch darüber streitet, ob 70 (ja, siebzig!) Prozent des ganzen Universums, die so genannte Dunkle Energie, überhaupt existiert oder doch lieber nicht, dann fühlt man sich nicht wirklich unterstützt im Bemühen, diese Welt zu begreifen.

Sagen wir’s frei raus: Es ist ein Chaos! Nur eines ist wirklich ganz gewiss: Das Universum hat zwei Türen. 

Durch die Erste betritt man diese merkwürdige Bühne am Beginn seines Lebens und durch die Zweite verschwindet man am Ende wieder. 

Die erste Tür wird allgemein kaum in Frage gestellt. Ich bin dann einfach mal da, auch wenn ich häufig nicht so recht weiss, warum eigentlich und welche Rolle ich heute spielen soll. Die zweite Tür bereitet jedoch kollektives Kopfzerbrechen. Warum muss man denn überhaupt dort hindurch? Wie wird das sein, da hinauszugehen? Was findet man jenseits dieser Tür? Kurz, die zweite Tür im Universum, ihre Beforschung, Befragung und Beschwörung hat nicht nur die Leute um ihren wohlverdienten Schlaf gebracht, sondern die gesamte Kulturproduktion der Menschheit befeuert, wenn nicht gar erst begründet. Um Antworten zu finden? Oder um sich abzulenken?

Denn alles dreht sich letztlich um den Tod. Gerade auch dann, wenn man versucht, diesem leidigen Thema auszuweichen. Das Ausweichen geht nur eine Zeitlang gut. Irgendwann wird deutlich, dass jede Form der ablenkenden Unterhaltung und Betäubung bloss eine weitere Version eines bizarren Totentanzes ist.

Ja, es gibt auch die Vorstellung, dass das Universum gar nicht zwei Türen habe, sondern nur eine. Nämlich eine Drehtür. Geht man dort hinaus, kommt man flugs von draussen wieder rein. Mit anderem Aussehen, anderem Körper, natürlich wieder jung und das Spiel begänne von Neuem. Die wohl eher westliche, vielleicht etwas naive Adaption dieser Idee der Wiedergeburt, gaukelt dem tapferen Universumbewohner ein tolles, ewiges Menschenleben, unterteilt in verschiedene, unterhaltsame Kapitel, vor. Doch allem Anschein nach sind diese Kapitel recht zuverlässig voneinander abgeschottet, wenn sie denn überhaupt als solche stattfinden.

Insofern könnte es für die Existenz eines konkreten Bewusstseins einerlei sein, ob man von zwei Türen oder der einen Drehtür spricht. Zum Beispiel auch die Frage nach der Moral stellt sich einem ja so oder so (oder auch gar nicht), mit oder ohne Karma, mit oder ohne Gott. 

Eine weitere, ernsthafte Betrachtung der Kulturgeschichte würde aber die unendlichen Wünsche, Hoffnungen und die grosse Verzweiflung der Menschen zu Tage fördern – angesichts dieser rätselhaften zweiten Tür.

Genau das ist es, was bleibt. Da das Leben an sich leider keinen inhärenten Sinn bietet, habe auch ich – ab und an – versucht, dieser Absurdität ein pragmatisches Bisschen von etwas abzunötigen, was man allgemein mit dem Begriff Bedeutung belegt. Doch das wäre mir schon zu hoch gegriffen… Vielmehr geht es ja um kleine Bewegungen, die wenigstens im jeweiligen Moment irgendwie sinn-voll sein könnten. Nun ja, diese albernen Versuche aus dem Dschungel eine Lichtung herauszutrampeln waren es schon Wert, unternommen zu werden, auch wenn nichts Bleibendes dabei herausgekommen ist. 

Unter uns: Dies hier wäre jetzt exakt der passende Moment für den Auftritt des wahren Helden. Jener Lichtgestalt, die die zweite Tür für immer verriegelt und die Errichtung des ewigen Himmelreichs im düsteren Universum mit munterem Kerzenschein feiern lässt. Jener gute Hirte, der den Fluch beenden würde… Aber die Niete hat natürlich diesen Moment verschlafen und träumt von einem Happy End, das wir nicht kennen.

(2. Video kreiert mit Hilfe von KI)

Moby Dick?

Im zweiten Anlauf klappte es doch.

Die unbemannte Sonde landete 2073 tatsächlich auf Europa, jenem Jupitermond, dessen Oberfläche ganz mit Eis bedeckt ist. 

Die Vorgängersonde, der Europa-Chopper 1, scheiterte noch vor einigen Jahren, weil sie länger als geplant der enormen Strahlung des Jupiterstrahlungsgürtels ausgesetzt war. Entscheidende Elektronikelemente versagten darauf den Dienst und die steuerlose Sonde verpasste Europa, verschwand einfach in den Tiefen des Raums, ohne dass man je wieder einen Funkkontakt hätte herstellen können. 

Aber jetzt war es endlich soweit. Europa-Chopper 2 gelang der Ritt durch die Strahlenhölle, landete wie geplant auf der eisigen Oberfläche des Mondes. Ein innovatives Bohr-Schmelz-Gerät machte sich umgehend daran, die kilometerdicke Eisschicht Europas zu durchdringen. Dann endlich konnte ein Mini-U-Boot mit Spezialkamera ins Bohrloch herabgelassen werden – in den riesigen salzhaltigen Ozean. 

Aber wir wollen einen Moment innehalten und uns kurz dem Geschehen im Mission Control Center zuwenden. Sie wissen schon, das ist jeweils jener magische Raum, wo auf vielen Bildschirmen endloser Computercode flimmert, den nur Eingeweihte verstehen würden. Jener Ort, wo die diensthabenden Ingenieure bei geglückter Mission den Champagner zu entkorken pflegen und ihr Triumph würde alsbald für drei bis sieben Sekunden über die TV-Kanäle huschen. In Realität sass dort jetzt nur ein einziger Mann vor einer Reihe von Bildschirmen. Commander Ahab schaute seit Stunden grimmig in die Abgründe des Datenflusses, der von der Sonde übertragen wurde. Er malte sich in Gedanken immer wieder aus, was der Eispanzer Europas preisgeben würde, beziehungsweise was er alsbald in der Tiefe des Mondozeans zu sehen bekäme. Sein Geist war müde von der Warterei und innere Bilder kämpften gegen die Ödnis der Computerbildschirme. Da. Da war er doch? Aus der ewigen Dunkelheit des Meeres auftauchend war Der Weisse Wal zu sehen. Eindeutig.

Aber würde man dort tatsächlich, wie vermutet beziehungsweise erhofft, ausserirdisches Leben finden? Die Bedingungen dafür waren wohl nirgends im Sonnensystem derart geeignet wie unter Europas Eispanzer. Die ersten Bilder wurden gerade zur Erde gefunkt und sie liessen Ahab und die Fachwelt erstaunen. Was für Farben und Formen! 

Sehr schnell wurde klar, dass sich unter dieser Eisschicht nicht etwa nur primitives Leben finden liess. Nein, es waren deutliche Hinweise auf eine technologisch ordentlich fortgeschrittene Zivilisation erkennbar! Das da dort zum Beispiel! Das sah doch schwer nach einem RohrfederManometer aus, oder…?